Aus der Szene / Regeländerungen

Veröffentlicht am Mittwoch, 14. September 2016 20:41
Geschrieben von Thomas Holzapfel

Wohl in keiner anderen Sportart wurden in den letzten Jahren so viele Änderungen vorgenommen wie im Tischtennis. Waren es der größere Ball ab dem Jahre 2000, die kürzeren Sätze seit 2001, das Verbot der verdeckten Aufschläge ab 2002 oder das Frischklebeverbot ab September 2008 – die Tischtennis-Oberen ließen sich zuletzt immer wieder etwas Neues einfallen, um die schnellste Rückschlagsportart der Welt attraktiver zu gestalten. Attraktiver für die Spieler und erst recht für die Medien. Mit nicht gerade durchschlagendem Erfolg, wie an der Basis immer wieder bemängelt wird. Die aktuellen Schlagworte in puncto Regeländerungen lauten „Plastikball“ und „Coaching-Regel“. Thomas Holzapfel hat sich im Bezirk nach der Stimmungslage umgehört.

Mehr und mehr rückt an der Basis das Thema Plastikball in den Mittelpunkt. Bereits vor zwei Jahren wurde das neue Spielgerät auf internationaler Ebene und auf Bundesveranstaltungen eingeführt, im Spitzensport gehört der umweltgefährdende, weil hochentzündliche Zelluloidball, mit dem neunzig Jahre lang gespielt wurde, inzwischen der Vergangenheit an. Nicht so in den Spielklassen des Breitensports und bis hinauf zur Regionalliga. Dort besteht bei den Vereinen immer noch die Möglichkeit, zwischen Plastik und Zelluloid zu wählen. Aus dem einfachen Grund, weil die Serienherstellung eines qualitativ guten Plastikballs mehr Zeit in Anspruch nahm als von den Entscheidungsträgern anfangs gedacht. „Der Plastikball wurde zu einem Zeitpunkt eingeführt, als die technischen Voraussetzungen noch nicht oder nur in geringem Umfang gegeben waren“, bemängelt Thomas Verleih, Abteilungsleiter der SpVgg Weil der Stadt, und spricht dabei von einer „stümperhaften Einführung“. Zwar sei die Qualität der Wettkampfbälle inzwischen befriedigend, aber es gäbe noch gravierende Qualitätsunterschiede bei den Herstellern und Trainingsbälle gäbe es de facto noch nicht. Karl-Heinz Ardelt, Spielbetriebsleiter vom TTV Gärtringen, sieht das genauso. „Die Umstellung auf den neuen Ball lief seitens der nationalen und internationalen Verbände völlig chaotisch. Eine Umstellung hätte erst dann erfolgen dürfen, wenn die Produktionskapazitäten und die Qualität ausreichend sind. Es gibt auch keine orangefarbenen Bälle mehr.“ Der Holzgerlinger Bernd Kaltenbach, Klassenspielleiter der Damen- und Herren-Regionalligen im Südwesten und zugleich Ressortleiter Erwachsenensport im Tischtennisverband, meint, dass die Unterschiede nur noch gering sind und es in wenigen Jahren keinen einzigen Zelluloidball mehr geben wird. „Aktuell spielt etwa die Hälfte der Regionalligateams noch mit Zelluloid. Es wird zwar keine strikte Vorgabe von oben kommen, aber irgendwann gibt es die alten Bälle einfach nicht mehr, weil die Produktionen eingestellt werden.  Allerdings geht die Einführung schon auch zu Lasten der Vereine, gerade dann, wenn man beispielsweise ein Bundesliga- und ein Oberliga-Team im Klub hat und dann in den  Wettkämpfen und Punktspielen mit unterschiedlichen Bällen hantieren muss.“ Hinzu kommt die Kostenfrage. Wolfgang Renz (GSV Maichingen) meint: „Der Preis für die paar Gramm Kunststoff ist immer noch unverhältnismäßig hoch.“ Wenn es nach dem Bezirksvorsitzenden Günter Hauser (Tischtennis Mötzingen) geht, wird diesbezüglich schon viel zu viel diskutiert. „Hierbei handelt es sich um eine typische Tischtennisthematik, über die man in ein paar Jahren kein Wort mehr darüber verliert.“   

Handelt es sich beim Plastikball noch um eine Thematik, die aus gesundheitstechnischen Gründen angegangen wurde, wurden die meisten anderen Änderungen mit dem Hintergrund vollzogen, eine höhere Akzeptanz der Sportart, mehr Zulauf im Nachwuchsbereich und eine bessere Darstellung in den Medien zu erreichen. „Diese Ziele sind mit allen Änderungen nicht erreicht worden“, kritisiert Dr. Michael Hofbauer vom FC/SF Münklingen. Und weiter: „Die Frage ist, inwieweit sich eine Sportart unbedingt verändern muss. Die Aussage des bisherigen ITTF-Präsidenten Adham Sharara, dass eine Sportart, die sich nicht verändert, zum Misserfolg verdammt ist, kann ich nicht nachvollziehen. Gemessen an der Anzahl der Neuerungen müsste der Fußballsport schon lange out sein, da hier in den letzten Jahren keine grundlegenden Änderungen in puncto Spieldauer, Spielerzahl oder Spielfeldgröße vorgenommen wurden.“  

Befragt man die Vereinsfunktionäre im Tischtennisbezirk Böblingen, so wird immer wieder das Wort Kontinuität in den Mund genommen. „Man sollte sich immer mal Gedanken über Reformen machen, dies sollte aber mit Augenmaß geschehen. Man muss die Vor- und Nachteile abwägen und eventuell das Ganze auch mal zurücknehmen, wenn das Ziel nicht erreicht werden sollte“, sagt Michael Hofbauer. „Viele Regeländerungen begründen sich ausschließlich aus vermeintlichem Bedarf im Profibereich, der Amateurbereich ist dann gezwungen, das letztlich mitzumachen“, meint Michael Knof, Bezirksklasse-Spieler des VfL Oberjettingen. Überwiegend positiv sehen die Vereinsvertreter die Einführung der kurzen Sätze bis elf, die mehr Spannungsmomente liefern und „für die Zuschauer bis in die unteren Ligen einen absoluten Gewinn darstellen“, so Günter Hauser. Wolfgang Renz und der Herrenberger Abteilungsleiter Stephan Dieterle-Lehmann haben da weiterhin Bedenken.

„Die kurzen Sätze bringen nur etwas im Spitzensport“, sagt Renz, „im Breitensport kann nicht mehr groß was ausprobiert werden, weil die Sätze zu schnell rum sind“. Stephan Dieterle-Lehmann vermisst dabei zuweilen den Spielfluss, der bei solch kurzer Dauer der Partie nicht mehr zu Stande kommt.    

Dass im Tischtennissport erst einmal Ruhe einkehrt, darf angezweifelt werden. Seit 1. Juli gilt die neue Coaching-Regel, die einem Trainer oder Betreuer erlaubt, auch während des Satzes (aber natürlich nicht während des Ballwechsels) Tipps zu geben. Vorbei sind also die Zeiten, in denen die Trainer „unauffällige“ Handbewegungen an der Spielfeldumrandung gaben oder den Spielern irgendwelche Tipps während des Ballholens zuflüsterten. „Es wird interessant sein, die Auswirkungen im Umgang mit dieser neuen Regel zu beobachten“, sagt Deufringens Abteilungschef Andreas Pusskeiler. Michael Knof kann dieser Regel nur Gutes abgewinnen: „Alles, was etwas mehr Leben ins Spiel bringt, bringt auch mehr Attraktivität, es ist doch viel zu oft zu ruhig in der Halle.“ Wolfgang Renz schlägt in diesem Zusammenhang sogar vor, den Time-Out wieder abzuschaffen. „Mit dem Time-Out wird der Spielfluss doch unnötig und zuweilen auch etwas unfair unterbrochen“, sagt der Schafhausener.   

Des Weiteren steht aktuell ein Antrag des Schweizer Tischtennisverbands auf der Agenda, der ein höheres Netz vorsieht. Mit der Begründung, die Sportart durch eine geringere Bedeutung des Auf- und Rückschlags und längerer Ballwechsel durch eine Änderung der Netzhöhe attraktiver zu gestalten. Je nach Resultat der statistischen Auswertung anhand von durchgeführten Tests soll im kommenden Jahr die Regeländerung beantragt und ab Sommer 2018 mit einem höheren Netz gespielt werden. „Alles Nonsens“, sagt Michael Knof, „wir können an den Regeln, Spielbedingungen und Spielgeräten so viel ändern wie wir wollen, den größten Effekt hat die Steigerung der Anzahl der Tischtennisspieler und mehr Professionalität in den verantwortlichen Gremien.“ Karl-Heinz Ardelt kann dieser Idee auch nichts Positives abgewinnen: „Das würde die Attraktivität nur geringfügig beeinflussen, da die Änderung durch entsprechende Spieltechnik und Materialqualität schnell kompensiert würde. Zudem kämen dann wieder hohe Kosten auf die Vereine zu.“  

Was also wären sinnvolle Änderungen, die den Tischtennissport nach vorne bringen würden? Oft genannt wird ein einheitliches und durchgängiges Spielsystem von der Bundesliga bis hinunter zu den Kreisklassen (Knof: „Das prägt sich dann auch bei Außenstehenden mehr ein“). Bernd Kaltenbach plädiert für die Wiedereinführung des Dietze-Paarkreuzsystems, das bei Vierermannschaften insgesamt acht Einzel und vier Doppel vorsieht. Wolfgang Renz würde es befürworten, wenn der Ball beim Aufschlag deutlich höher geworfen werden müsste als die bisherigen, schlecht messbaren 16 cm. „Mindestens 50 cm sollten es sein, dann würden die unlauteren Vorteile mit Aufschlägen aus der Hand aufhören“, sagt Renz. Ähnlich strikt sieht es Thomas Verleih. „Der Status Quo ist unbefriedigend. Man sollte in manchen Dingen einfacher und vielleicht etwas radikaler vorgehen. Warum könnte man beispielsweise nicht einfach nur noch Aufschläge mit der Rückhand erlauben?“ Ganz pragmatisch – wenngleich nicht ganz Ernst gemeint – bringt es Andreas Pusskeiler auf den Punkt. „Wir brauchen eine Regel, mit der es uns gelingt, die chinesische Mauer zu stürmen. Erst durch Erfolge wie bei Olympia oder anderen Topveranstaltungen bekommt unser Sport einen größeren Raum in den Medien zugeteilt. Und dann kommen automatisch auch die Erfolge in den Vereinen.“

 

Die gravierendsten Änderungen in der Tischtennisgeschichte:

* Januar 1937: Begrenzung der Spielzeit auf 60 Minuten (bei zwei Gewinnsätzen); Sanktion bei Überschreitung: Disqualifikation beider Spieler

* 1947: Begrenzung der Spielzeit auf 15 Minuten pro Satz

* 1959: Festlegung der Gesamtdicke des Belags auf maximal 4 mm

* 1984: Die Beläge des Schlägers müssen eindeutig verschiedenfarbig sein

* 1985: Die beiden Beläge müssen schwarz und leuchtend rot sein

* Juli 1987: Ball muss beim Aufschlag 16 cm hochgeworfen werden

* September 1993: Direktes Annehmen mit dem Schläger oder der Schlaghand (hinter der Grundlinie) wird nicht mehr als Fehler gewertet

* September 1999: Einführung des Time-Outs

* September 2000: Einführung des 40-mm-Balls (vorher 38 mm)

* Juli 2001: Einführung der neuen Zählweise bis 11 und Begrenzung der Spielzeit auf 10 Minuten pro Satz

* Juli 2002: Aufschlag: Verbot des Verdeckens

* Mai 2007: Verbot des Einsatzes von Klebern mit flüchtigen organischen Lösungsmitteln

* September 2008: Generelles Frischklebeverbot

* Juli 2014: Einführung des Plastikballs auf internationaler Ebene und auf Bundesveranstaltungen

* Juli 2016: bundesweites In-Kraft-Treten der Coaching-Regel, die optische und verbale Hinweise zwischen den Ballwechseln erlaubt

* ab Saison 2016/2017: Einsatz Plastikball verpflichtend in den drei Bundesligen